Schmerzen können einem das Leben zur Hölle machen. Ich habe als Schmerzpatient jahrelang getan, was fast alle tun: Die Medizin um Hilfe bitten, die Symptome bekämpfen, die Zähne zusammenbeißen und weitermachen. Schließlich konnte ich nicht mehr und hatte damit in gewisser Weise Glück. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich mir selbst zuzuwenden, auf verschiedene Weise. Dabei begann ich herauszufinden, wie die Schmerzen in Körper und Psyche mit bislang ungefühlten Schmerzen in der Seele zusammenhängen. Eine erlösende Entdeckung. Dieser Zusammenhang und seine Konsequenzen stehen natürlicherweise im Fokus meines beruflichen Interesses. Mir fällt dabei auf:
Die Schmerzen selbst können uns offenbaren, wozu sie da sind. Sie tun dies sogar bereitwillig, wenn man sie innerlich nicht bekämpft, sondern ihnen widerstandslos folgt. Das ist ungewohnt. Natürlich braucht man bei starken Schmerzen die moderne Medizin, um überhaupt leben zu können. Ich rede hier jedoch von einem zusätzlichen inneren Vorgang, um auf Dauer schmerzärmer zu leben. Dieser Vorgang besteht im Wesentlichen aus einem radikalen Perspektivwechsel: Mein Symptom ist nicht nur ein Störfall, den ich bekämpfen und wegmachen muss, sondern auch ein innerer Führer im Auftrag meiner Seele. Also nicht nur Widerstand, sondern Ergebung, nicht kämpfen, sondern folgen. Wie soll das gehen?
Zwei Dinge muss ich mir klarmachen. Das Erste: Mein seelisches Anliegen und mein Schmerzsymptom bilden miteinander ein Gleichgewicht. Den seelischen Schmerz konnte ich bisher vielleicht nicht spüren, den körperlichen daher umso deutlicher. Das Gleichgewicht zwischen beiden balanciere ich in mir herum, Tag und Nacht. Das kostet viel Kraft. Je angespannter das Gleichgewicht ist, umso stärkere Reaktionen werde ich erleben. Mein Körper kann dauerhafte und vielfältige Symptome entwickeln, mein Leben gerät möglicherweise aus den Fugen oder es fährt sich in engem Rahmen fest.
Das Zweite: Die Seele hat viele Möglichkeiten, mir selbst gegenüber mein Anliegen zu vertreten. Das Ziel ist immer meine eigene Lebendigkeit, Vollständigkeit und Ganzheit. Sie will, dass ich vollen Zugangs zum Leben habe, dass mein Leben ganz wird. Sie nutzt den körperlich fühlbaren Schmerz als Stellvertreter für ihren Schmerz, den ich (bisher vielleicht) nicht fühlen kann. Darin wirkt auch eine systemische Dynamik, die sich häufig auf mehrere Generationen bezieht. Meine Krankheit bedeutet daher nichts Fehlerhaftes oder gar Schwaches. Sie ist eine Leistung meines Körpers, welche er unbewusst im Auftrag der Seele vollbringt.
Der Lichtblick: Es muss nicht so bleiben. Das Gleichgewicht der Schmerzen kann sich entspannen und weniger problematisch werden, wenn ich das seelische Anliegen darin anschaue und würdige. Fast immer tauchen dabei hinter einem Schutzschleier aus Wut, Trauer, Scham, Angst und Lähmung unbewusste Loyalitäten und eine tiefe, blinde Liebe auf. Verborgene Schätze, die gesehen werden wollen. Wenn dies gelingt, entspannt sich die Seele. Sie nimmt in sich auf, was ihr fehlte, und wächst dabei. Sie braucht keine körperlichen Schmerzen als Ersatzhandlung mehr, wenn ihrem Anliegen entsprochen wird. Anschauen was ist, das genügt.