Den Speer werfen

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Den Speer werfen

 

Eine alte Geschichte

Ein junger Mann lebte bei seiner Mutter, schon seit vielen Jahren. Er wollte nicht hinaus, er wollte nichts tun, er wollte immer bei seiner Mutter bleiben. Sie bedrängte ihn jedoch so heftig, endlich in die Welt zu ziehen, dass er eines Tages aufstand. Er nahm seinen Speer, stellte sich vor die Hütte und warf ihn, so weit er konnte. Er lief ihm nach, fand ihn und warf ihn wieder, so weit er konnte. Er lief ihm nochmals nach, fand ihn und warf ihn nochmals, so weit er konnte. Er hörte so lange nicht damit auf, bis er schließlich in der Welt angekommen war *.

 

Die Bewegung

Wenn wir hier über Mut und Ermutigung reden, reden wir über den Speerwurf des jungen Mannes. Über einen einzigen, seinen ersten. Ich weiß nicht, warum der junge Mann nicht in die Welt wollte. Vielleicht hatte er Angst. Vielleicht konnte er sich nicht vorstellen, dass es anderswo genau so schmeckt wie bei Muttern. Vielleicht war ihm entgangen, dass er kein kleiner Junge mehr war. So etwas kommt vor.

Jedenfalls warf er den Speer. Mut entsteht, wenn die Sehnsucht größer ist als die Angst. Die Sehnsucht nach der Welt, nach dem Anderen und nach sich selbst lebt in jedem von uns, sonst wären wir nicht geboren worden. Ebenso die Angst vor der Welt, dem Anderen und sich selbst, sonst würden Sie das hier nicht lesen und ich hätte es nicht geschrieben.

 

Sehnsucht und Angst

Ermutigung bedeutet, die Sehnsucht und die Angst in ein Gleichgewicht zu bringen. Das natürliche Gleichgewicht scheint der Sehnsucht einen kleinen Vorsprung einzuräumen, sonst könnte nichts und niemand wachsen. Mut zu haben heißt, seiner Sehnsucht und seiner Angst zu trauen. Und dann der Sehnsucht einen Speerwurf weit zu folgen.

Ermutigung besteht aus meiner Sicht darin, seine Sehnsucht und seine Angst so kennen zu lernen, dass man beginnt, ihnen zu vertrauen. Ermutigung heißt auch, anderen beim Werfen des Speeres zuzusehen, ihnen nachzuschauen, wie sie immer weiter in die Welt eingehen. Ermutigung heißt außerdem, mitten in der Welt einige Andere, die den Speer geworfen haben, wiederzuerkennen. Ein Blick zwischen euch genügt, dann wisst ihr: Es ist gut. Auch nach vielen Speerwürfen ist die Welt immer noch gut, wie sie ist. Irgendwann wird die Welt selbst zur Ermutigung. Dann braucht ihr den Speer vielleicht nicht mehr und gebt ihn weiter.

 

Anmerkung

* Aus der indianischen Mythologie nach Wolfgang Giegerich, The soul’s logical life. Die christliche Entsprechung dazu wäre die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn. Ich wundere mich über ihren Titel, denn gerade der „verlorene Sohn“ hat doppelten Mut bewiesen: Einmal, als er hinaus in die Welt ging und dann wieder, als er mit leeren Händen und vollem Herzen heimkam. Seinem Vater war übrigens beides recht. Er freute sich einfach.

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