Der Lebens-Integrations-Prozess ist als Aufstellungsformat und als Arbeitshaltung ganz auf das Hier und Jetzt ausgerichtet. Es geht nicht mehr um die Lösung von Problemen, sondern darum, das äußerliche, durch das Lebensalter gegebene Erwachsensein auch innerlich (emotional) zu vollziehen und die damit verbundene innere Freiheit wirklich anzunehmen. Damit entspannt sich vieles, was man bislang an sich selbst und anderen als problematisch erlebt hatte. Man wendet sich von der Gegenwart her seinen vergangenen Lebensphasen zu und nimmt sie ganz in sich auf. Sie dürfen so sein, wie sie waren, ob leicht oder schwer. Wenn dies gelingt, werden sie zur Kraftquelle, so ungewöhnlich das vielleicht klingen mag.
Dr. Wilfried Nelles hat den Lebens-Integrations-Prozess (LIP) in den vergangenen Jahren entdeckt und zu einer ganz eigenen Haltung und Arbeitsweise entwickelt. Grundlage des LIP ist sein Bewusstseinsmodell. Es beschreibt, wie sich unser individuelles und kollektives Bewusstsein in sieben für jedermann sichtbaren Stufen entwickelt, beginnend bei der Zeit im Mutterleib (1), gefolgt von der Kindheit (2), der Jugend (3), dem Erwachsensein (4), dem reifen Erwachsensein (5), dem Alter (6) und dem Tod bzw. der Erleuchtung (7). Jede Bewusstseinsstufe folgt ihren eigenen Regeln, hat einen eigenen Zugang zur Welt und entwickelt ihre eigenen Reaktionsmuster. Sie formen sich an den Herausforderungen des Daseins und bilden dabei ihre jeweiligen Fähigkeiten und Kräfte heraus. Die vielgescholtenen charakterlichen oder emotionalen Muster sind also nicht falsch, sondern haben uns in einer bestimmten Lebensphase geholfen zu überleben. Sie treten in den Hintergrund, wenn wir mit Haut und Haaren erkennen, dass diese vielleicht bedrohliche oder schmerzhafte Zeit wirklich vorbei ist.
Die praktische Arbeit mit dem Lebens-Integrations-Prozess als Aufstellungsmethode verläuft äußerlich eher unspektakulär. Innerlich werden oft große Energien umgesetzt. Der Schwerpunkt liegt auf dem unmittelbaren körperlichen und emotionalen Erleben. Man schaut vom Platz des Erwachsenen (Position 4) zunächst auf den Stellvertreter für die eigene Zeit im Mutterleib (Position 1). Er zeigt mit untrüglicher Sicherheit, was wir dort an Geborgenheit oder auch an Bedrohung erlebt haben. Beides steckt uns in jeder Zelle. Außerdem kann auf der Position 1 unsere innere Vision erscheinen, unsere Urbegabung. Sie ist unabhängig von den Leuten und Orten, mit denen wir aufwuchsen. Weiter geht es dann mit dem Stellvertreter für die Kindheit (Position 2), anschließend mit dem für die Jugend (Position 3). Sie zeigen von dem inneren Erleben dieser Lebensphasen häufig jene Anteile, welche bislang im Schatten lagen, welche nicht bewusst sind. Sie zeigen auch, wozu wir als äußerlich Erwachsene so häufig wie verstörte Kinder oder Jugendliche reagieren, sobald wir unter Druck geraten. Das Kind und der Jugendliche wollen gessehen und in ihrer Leistung ernstgenommen werden. An ihrem Empfinden ist nichts falsch, sonst wären wir nicht mehr da.
Der LIP wirkt langfristig, im Laufe von Monaten und Jahren. Er hilft auf nachhaltige Weise, Identifizierungen mit früheren Überlebensmustern zu lösen, Traumata zu transformieren und mit den eigenen Schatten Freundschaft zu schließen. Die innere Vision des eigenen Lebens, also das, wozu man da ist, erscheint als eine existentielle Ressource – und als eine große Herausforderung. Sie will gelebt werden. Der Lebens-Integrations-Prozess bietet dem erwachsenen Menschen einen Weg, sich wirklich von seiner Kindheit und Jugend zu lösen, aber nicht, indem er sie abschneidet, sondern indem er sie ganz in sich aufnimmt. Dadurch kommt man mehr in Kontakt mit sich selber, man kommt zu sich. Das kann sehr ungewohnt und erschütternd sein, aber: Der Umgang mit sich selbst und mit dem Leben, wie es ist, wird müheloser, und es wird leichter, mit anderen in Beziehung zu leben, ohne sich dabei zu verlieren.
Meine Arbeitsweise ist inzwischen von der Haltung und Praxis des LIP wie von einem Ferment durchdrungen, ob nun in der Einzelberatung, in der Fortbildung oder im Gruppenprozess. Er macht vieles klarer, einfacher zu verstehen und gleichzeitig kraftvoller. Es öffnet die Tür zu einer tiefen Begegnung mit dem eigenen Sein.